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Klaus Meyer und Peter Puhlmann im Gespräch beim 40-jährigen Jubiläum der Frühförderung der Lebenshilfe München

Vor wenigen Wochen konnte die Frühförderung bei der Lebenshilfe in München ihr 40jähriges Jubiläum feiern (siehe Bericht). Klaus Meyer, stellv. Vorsitzender des Lebenshilfe-Landesverbandes Bayern, zählt die Frühförderung dabei zu den besten Startbedingungen ins Leben. Das gilt vor allem für Menschen mit Behinderung und solcher, die von einer Behinderung bedroht sind.

„Was 1974 mit dem Aufbau regionaler Frühförderstellen begann, ist heute zu einer umfassenden, bedarfsgerechten und familiennahen Institution gewachsen“, so Klaus Meyer. Sie habe sich als wirksamste Hilfe der Förderung und Prävention für Säuglinge und Kleinkinder mit Entwicklungsauffälligkeiten, Entwicklungsrisiken sowie drohender Behinderung bewährt.  

Die richtigen Fragen stellen

Dabei zeige eine interdisziplinäre, fachübergreifende Frühförderarbeit immer wieder den richtigen Weg, entwickelt die passenden Konzepte und Therapien. Fragen wie – Was schafft das Kind körperlich? Wo liegen seine Selbstheilungskräfte? Wo braucht es Unterstützung, hat es Defizite? – sind bestens ausgebildete Fachkräfte auf der Spur. Sie schauen genau auf das Kind und sie schauen genau auf sein soziales Umfeld: Wie lebt das Kind innerhalb der Familie? Wie ist sein Alltag? Welche Kontakte hat es?

Dabei ist jede Situation in der Familie anders. Da sind die Eltern beide berufstätig. Da ist die Mutter oder der Vater alleinerziehend. Das Leben innerhalb der Familie ändert sich auch. Klaus Meyer dankt dem Engagement der Mitarbeiter. „Es fordert von Ihnen immer viel Flexibilität und Rücksicht. Dieser ganzheitliche Blick auf das Leben des Kindes ist es, die die Arbeit der Frühförderung so besonders und unerlässlich macht. Mit ihrer ganzheitlichen Hilfe verbessert Frühförderung nicht nur die gegenwärtige Situation eines Kindes, sie trägt insbesondere auch zu besseren Zukunftsperspektiven bei, zu einem Leben ohne Benachteiligung.“

Lebenshilfe fordert die Leistungen ein

Die Arbeit der mobilen Frühförderung ist vertrauensvoll, verlangt ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein, Sensibilität und Zuwendung. Die Mitarbeiter sind für jedes Kind da und sind wichtige Ansprechpartner, Ratgeber, Bezugspersonen für Eltern und Betreuungspersonen. Mütter und Väter gewinnen mehr Sicherheit und Kompetenz in der Fürsorge und Erziehung des Kindes. Gemeinsam mit den Eltern oder Betreuern wird nach Wegen gesucht, ein Leben möglichst frei von Hindernissen zu gestalten. Dabei ist ein offenes Ohr für die Sorgen, Fragen und Nöte der betroffenen Familien immer dabei. Für Klaus Meyer und die Lebenshilfe Bayern ist es darum unbegreiflich, „dass wir seit Jahren immer wieder intensiv bei Entscheidungs- und Kostenträgern darum kämpfen müssen, die Frühförderung in ihrer hohen Qualität zu stützen und zu schützen.“

Kassen machen Druck auf die Ärzte

Der Lebenshilfe-Landesverband Bayern sei darum wachsam, was die ärztliche Verordnung der mobilen medizinisch-therapeutischen Förderung betrifft. Die Ärzte stehen sehr unter dem Druck der Krankenkassen. Die Eltern sollten ihr Kind in die Frühförderstelle bringen dürfen wenn dies nötig erscheint. Aber auch die Betreuung zuhause, im privaten Umfeld, bleibt wichtig. Kein Auto zur Verfügung zu haben, ist da nur ein Grund. Der Lebenshilfe-Landesverband will den hohen Wert der Komplexleistung gewahrt wissen.

Klaus Meyer: „Verlierer wären schlussendlich die Kinder, die Familien gewesen. So trat unser Landesverband an die Politik und Öffentlichkeit und schließlich haben Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigung den Druck herausgenommen. Leider müssen wir feststellen, dass dennoch manche Ärzte vorsichtiger mit der Verordnung mobiler Therapien geworden sind. Sie wollen genau wissen, warum die Behandlung nicht ambulant in der Frühförderstelle stattfinden kann. Die Beweislast – und das ist eine Last – müssen die Frühförderstellen und die Eltern tragen.“

Gruppenarbeit ersetzt keine individuelle Betreuung

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Frühförderstellen müssten so immer wieder aufs Neue mit zusätzlichen Anforderungen befasst sein, die sie in ihrer eigentlichen Arbeit hemmen, der wichtigen Arbeit mit dem Kind. Auch wäre es ein Trugschluss zu glauben, dass der Förderbedarf des Kindes zu einem großen Teil vom Kindergarten und Integrationsfachdienst abgedeckt werde. Auch hier müssten die Fachkräfte der Frühförderstellen nachdrücklich und damit zeitintensiv erklären, warum die bisherige individuelle Frühförderung unbedingt in ihrem ganzen Umfang weiter beibehalten werden müsse. Die interdisziplinäre Hilfe direkt am Kind, die Beratung und Anleitung der Eltern – immer im häuslichen Kontext – brauchen unbedingt Kontinuität. Das kann integrative Gruppenarbeit in den Kindertageseinrichtungen nicht ersetzen.

Chance auf soziale Teilhabe wahren

Inklusion beginnt nicht erst in einer Kindertageseinrichtung. Die Frühförderung geht schon vorher in die Familien und sie legt maßgeblich das Fundament für Inklusion. Mit ihr hat der Bub oder das Mädchen alle Chance auf ein gleichberechtigtes Miteinander mit anderen Kindern, alle Chance auf ein später selbstbestimmtes Leben in sozialer Teilhabe. Und im Sinne gelebter Inklusion arbeiten die Frühförderstellen mit den Kindergärten, den Tagesstätten und den Schulen zusammen. Gelingende Inklusion muss eine gemeinsame Sache sein. Das erfordert eine stärkere Vernetzung der Hilfs- und Betreuungsangebote vor Ort. Ärzte, Kliniken, Hebammen, Offenen Hilfen, die Kinder- und Jugendhilfe, sie alle sollen intensiver zusammenarbeiten können. Zu einer noch besseren Vernetzung gehört auch eine verstärkte fachliche Beratung und Begleitung für die Übergänge sei es zu Kindertageseinrichtungen oder Schulen.

Frühförderstellen haben eine Schlüsselfunktion

Ein solches aktives Netzwerk braucht einen gut funktionierenden Schlüssel. Die Frühförderstellen können diese wichtige Schlüsselfunktion übernehmen – mit ihren fachlich professionellen und interdisziplinären Teams, mit ihren Kontakten vor Ort. Die zusätzliche Aufgabe als sozusagen„Lotse“ im Sozialraum darf aber nicht zu Lasten der direkten Arbeit mit dem Kind gehen. Die Lebenshilfe Bayern setzt sich weiter stark für eine Finanzierung auf Landesebene ein, die zum einen unbedingt den bewährten Frühförder-Angeboten Rechnung trägt und zum anderen die Entwicklung neuer und noch flexiblerer Angebote gewährleistet – im Sinne der sozialen Teilhabe.

Klaus Meyer schloss seine Ausführungen mit einem Zitat von der Vorsitzenden der Lebenshilfe Bayern, MdL Barbara Stamm: „Sorgen wir auch weiter alle gemeinsam für „beste Startbedingungen ins Leben.“